Wie führt man Selbstorganisationsprinzipien in Unternehmen ein?

Wie führt man Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­prin­zi­pi­en in Unter­neh­men ein? Mit die­ser Fra­ge war ich in den letz­ten Jah­ren und Mona­ten öfter kon­fron­tiert, wenn ich Unter­neh­mer und Unter­neh­men dabei beglei­te­te, Füh­rungs­prin­zi­pi­en umzu­stel­len. Dabei sind mir immer wie­der bestimm­te kri­ti­sche Situa­tio­nen und Phä­no­me­ne auf­ge­fal­len, die ich des­we­gen mal als typisch bezeich­nen möch­te und zu deren Ver­mei­dung oder Hand­ha­bung ich eine bestimm­te Vor­ge­hens­wei­se ent­wi­ckelt habe. Die­se möch­te ich als zwei­tei­li­gen Blog­bei­trag tei­len. Dies hier ist der ers­te Teil.

Den nach­fol­gen­den Text möch­te ich nicht als Anlei­tung (Rou­ten­plan), son­dern als Theo­rie (Land­kar­te) ver­stan­den wis­sen. Ich möch­te also nicht pau­schal dazu auf­for­dern, genau­so vor­zu­ge­hen, son­dern eine Land­kar­te lie­fern, um Ori­en­tie­rung zu bie­ten, um typi­sche Wid­rig­kei­ten und mög­li­che Wege zu erken­nen. Wie jede Land­kar­te, ent­hält sie nur bestimm­te aus­ge­wähl­te Aspek­te – auf einer Wan­der­kar­te sind ande­re Merk­ma­le ver­zeich­net, als auf einer Auto­kar­te oder einer Schienennetzkarte.

Wer kann den Übergang initiieren?

In allen bekann­ten und erfolg­rei­chen Bei­spie­len haben letzt­end­lich die Inha­ber des Unter­neh­mens die Initia­ti­ve ergrif­fen und ent­schie­den, das Unter­neh­men künf­tig kol­le­gi­al selbst­or­ga­ni­siert füh­ren zu lassen.

Das ist einer­seits nahe­lie­gend und selbst­ver­ständ­lich, denn zu den wesent­li­chen Auf­ga­ben der Gesell­schaf­ter eines Unter­neh­mens gehören:

  • Die Aus­wahl und Bestel­lung der Geschäftsführung.
  • Die Fest­le­gung Zustim­mungs­pflich­ten durch die Gesell­schaf­ter in der Sat­zung und in den Geschäftsführerverträgen.
  • Die Schaf­fung von ver­bind­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen in der Sat­zung des Unternehmens.

Ande­rer­seits mag es para­dox erschei­nen, dass aus­ge­rech­net die mäch­tigs­te Ent­schei­dungs­in­stanz die Ver­tei­lung und Begren­zung ihrer Macht beschlie­ßen soll.

Die Selbstorganisation beginnt fremdbestimmt?

Vor allem im zeit­li­chen Ver­lauf wirkt der Kon­trast wider­sprüch­lich: Die Ent­schei­dung zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on ist fremd­be­stimmt. In einem Moment tref­fen die Inha­ber zusam­men mit der Geschäfts­füh­rung eine dis­rup­ti­ve Ent­schei­dung zur Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, was dann zur Fol­ge hat, dass sie selbst bereits im nächs­ten Moment idea­ler­wei­se gar kei­ne Ent­schei­dun­gen mehr treffen.

Anders geht es aber nicht, schon auf Grund recht­li­cher Gege­ben­hei­ten. Sofern das kol­le­gia­le Orga­ni­sa­ti­ons­prin­zip dau­er­haft ver­an­kert, robust gegen Fremd­be­stim­mung und auch ein­klag­bar wer­den soll, sind die­se Prin­zi­pi­en in der Sat­zung der Orga­ni­sa­ti­on zu ver­an­kern oder sie müs­sen zumin­dest von den Ver­ant­wort­li­chen die­ser Sat­zung ent­schie­den werden.

Selbst­ver­ständ­lich kann es sinn­voll sein, eine kol­le­gia­le Füh­rung erst in einem Teil­be­reich eines Unter­neh­mens aus­zu­pro­bie­ren – aber auch dabei ist die Fra­ge zu stel­len, ob die­ses Expe­ri­ment die Rücken­de­ckung der obers­ten Füh­rung hat, von die­ser ver­stan­den wor­den ist und Teil einer unter­neh­mens­wei­ten Grund­satz­ent­schei­dung ist. Oder ob dies nur eine mehr oder weni­ger gedul­de­te Kurio­si­tät oder Insel der Glück­se­li­gen im Gesamt­kon­text ist.

Gegenbeispiel AES

Der Kraft­werks­be­trei­ber AES ist Bei­spiel dafür, wie Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wie­der kaputt gehen kann, wenn die Kon­sti­tu­ti­on der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on nicht ver­bind­lich gere­gelt ist.

AES wur­de 1982 gegrün­det, hat von Anfang an selbst­or­ga­ni­siert gear­bei­tet und ist sehr schnell auf rund 20.000 Mit­ar­bei­ter gewach­sen. Das Unter­neh­men hat neue Kraft­wer­ke gebaut und auch bestehen­de Unter­neh­men über­nom­men und erfolg­reich integriert.

Im Zuge einer wirt­schaft­li­chen Kri­se (AES-Mitbewerber Enron ging gera­de plei­te) ver­ließ der Grün­der Den­nis Bra­ke im Jah­re 2002 das Unter­neh­men. Die­ser Wech­sel des obers­ten Manage­ments führ­te AES zurück in rein leis­tungs­ori­en­tier­te (oran­ge, vgl. Evo­lu­ti­on mensch­li­cher Orga­ni­sa­ti­ons­for­men) Führungs- und Organisationsprinzipien.

Welche Startsituation ist herzustellen?

Überforderung vermeiden

Kol­le­gia­le Füh­rung basiert auf einer gan­zen Men­ge Wis­sen und noch viel mehr Kön­nen. Und gleich­zei­tig kön­nen Sie nicht vor­aus­set­zen, dass alle Betrof­fe­nen auch nur ansatz­wei­se über die­ses Wis­sen und die­se Fähig­kei­ten ver­fü­gen. Unse­re Unter­neh­men sind geprägt durch dis­zi­pli­nä­re Spe­zia­li­sie­run­gen. Eine macht die Buch­hal­tung, ein ande­rer ver­ant­wor­tet den Ver­kauf. Kaum einer ist Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­ler oder Füh­rungs­ex­per­te. Die Umstel­lung auf eine kol­le­gi­al geführ­te Orga­ni­sa­ti­on kann daher nicht davon abhän­gig gemacht wer­den, dass alle Kol­le­gen jetzt Füh­rung neu erfin­den.  Ein­fach nur Frei­raum zu stel­len und zu sagen, jetzt orga­ni­siert euch mal selbst, pro­vo­ziert ledig­lich eine abso­lu­te Überforderung.

Glück­li­cher­wei­se haben Mit­ar­bei­ter meis­tens ein gro­ßes Inter­es­se dar­an, ihre eigent­li­che Wert­schöp­fung zu voll­brin­gen und für Kun­den und Pro­duk­te zu arbei­ten, statt sich mit neu­en Organisations- und Füh­rungs­prin­zi­pi­en zu beschäftigen.

Ande­rer­seits ver­bie­tet die Idee der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on doch, eben die­se fremd­be­stimmt anzu­lei­ten – oder? Der Aus­weg aus die­sem Dilem­ma liegt dar­in, bei­des zu tun.

Welche Fremdbestimmung hilft der Selbstorganisation beim Start?

Bei jedem Schritt und jeder Ver­än­de­rung die aus dem alten Sys­tem her­aus­führt oder das alte Sys­tem ersetzt, ist ein neu­er Rah­men initi­al vor­zu­ge­ben. Dies gilt aber nur für den jeweils ers­ten Schritt – eben initi­al. Jede wei­te­re Ver­än­de­rung an dem so gesetz­ten neu­en Sys­tem muss dann kol­le­gi­al selbst­or­gan­siert erfolgen.

Wenn bei­spiels­wei­se Ent­schei­dun­gen über den Dienst- und Urlaubs­plan in ein kol­le­gia­les Orga­ni­sa­ti­ons­sys­tem zu über­füh­ren sind und die­se Pla­nung bis­her von einer klas­si­schen Füh­rungs­kraft ver­ant­wor­tet wur­de, dann ist

  • klar­zu­stel­len, also die Ent­schei­dung mit­zu­tei­len, dass die­se Pla­nung nicht län­ger von der Füh­rungs­kraft ver­ant­wor­tet wird (Gegen­stands­be­reich),
  • ein neu­er Rah­men und ggf. Ver­fah­ren vor­zu­ge­ben, wie die Kol­le­gen dies nun mit­ein­an­der ent­schei­den sol­len (ope­ra­ti­ve Ebe­ne)
  • und wie die Kol­le­gin­nen wie­der­um die­sen Rah­men und die­ses Ver­fah­ren selbst ändern und wei­ter­ent­wi­ckeln dür­fen, sofern sie dafür Bedarf sehen (orga­ni­sa­tio­na­le Ebe­ne).

Von der bis­he­ri­gen Füh­rung ist klar­zu­stel­len, wel­che Ent­schei­dun­gen nun­mehr kol­le­gi­al gestalt­bar sind und wel­che nicht. Dabei sind die ers­te (ope­ra­ti­ve) und zwei­te (orga­ni­sa­tio­na­le) Ord­nungs­ebe­ne expli­zit zu unterscheiden:

  • Ope­ra­ti­ve Ebene
    Für die ope­ra­ti­ve Ebe­ne könn­te bei­spiels­wei­se vor­ge­ge­ben wer­den: „Ihr trefft euch ein­mal wöchent­lich zu einem ope­ra­ti­ven Jour fix und die jeweils Anwe­sen­den ent­schei­den im Kon­sent (vgl. Ver­bun­den im Kon­sent; die Prin­zi­pi­en der sozio­kra­ti­schen Kreis­or­ga­ni­sa­ti­on) über den Dienstplan.“
  • Orga­ni­sa­tio­na­le Ebene
    Und für die orga­ni­sa­tio­na­le Ebe­ne könn­te bei­spiels­wei­se vor­ge­ge­ben wer­den: „Ein­mal im Monat ver­an­stal­tet ihr ein orga­ni­sa­tio­na­les Arbeits­tref­fen und könnt dort im Kon­sent aller Anwe­sen­den eure Zusam­men­ar­beit, Arbeits­wei­sen, Arbeits­tref­fen etc. ändern.“

Erst durch die Start­vor­ga­ben auf bei­den Ord­nungs­ebe­nen ist das betrof­fe­ne Team wei­ter­hin arbeitsfähig.

Das Team muss sich ganz schön umstel­len und vie­les neu ler­nen – aber es hat Sicher­heit und Klar­heit dar­über, wie es sei­nen Auf­ga­ben und sei­ner Ver­ant­wor­tung nach­kom­men kann. Wird es anfangs zusätz­lich durch tea­mex­ter­ne Mode­ra­ti­on unter­stützt, kön­nen sich alle Kol­le­gen voll auf ihre neu­en Rol­len konzentrieren.

Wür­de hin­ge­gen nur die orga­ni­sa­tio­na­le Ebe­ne vor­ge­ge­ben, gerie­te das Team in eine Über­las­tungs­si­tua­ti­on: Es wäre zunächst nicht mehr ope­ra­tiv arbeits­fä­hig, denn es wäre unklar, wer den Dienst­plan macht. Es hät­te dop­pel­ten Druck: das Tages­ge­schäft läuft wei­ter und es müss­te die Dienst­pla­nung neu orga­ni­sie­ren. Dem Team also nur zu sagen „Orga­ni­siert euch jetzt selbst und ent­schei­det alles im Kon­sent“, wür­de das Team in eine unnö­ti­ge Kri­se stürzen.

Typi­scher­wei­se üben selbst­or­ga­ni­sier­te Teams die neu­en Entscheidungs- und Wil­lens­bil­dungs­pro­zes­se erst­mal ein, sam­meln Erfah­run­gen damit und begin­nen dann lang­sam aber sicher neue eige­ne Ideen zu ent­wi­ckeln und aus­zu­pro­bie­ren, die eige­ne Arbeit und sich als Team zu organisieren.

Bevor also tat­säch­lich mit der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on begon­nen wird sind die initi­al gel­ten­de Struk­tu­ren, Pro­zes­se und Prin­zi­pi­en festzulegen.

Im nächs­ten Blog­bei­trag zu die­sem The­ma wer­de ich über die typi­schen Pha­sen der Ein­füh­rung schreiben.

 

Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
  1. Guter Arti­kel. Ich habe mir an ande­rer Stel­le eben­falls Gedan­ken über die Tren­nung von Geld und Ver­ant­wor­tung bei der Ein­füh­rung von New Work gemacht.

  2. Unein­ge­schränkt d’ac­cord. Weil aber Selbstent­mach­tung der Gesell­schaf­ter für die meis­ten Gesell­schaf­ter denk­bar unat­trak­tiv ist, wer­den wir auch wei­ter­hin nur sehr weni­ge “selbst­or­ga­ni­sier­te” Unter­neh­men erleben.

    Die Vor­aus­set­zun­gen, die nötig sind, damit Gesell­schaf­ter erken­nen kön­nen, wel­che Vor­tei­le eine sol­che Selbstent­mach­tung für sie haben kann, sind so zahl­reich und so anspruchs­voll, dass nicht erwart­bar ist, dass sich die­se For­men aus­brei­ten. – Unab­hän­gig von den Erfol­gen damit anders­wo und unab­hän­gig von dem dazu ver­füg­bar gemach­ten Wis­sen (z.B. hier).

    Hin­zu kommt als “unter­neh­me­risch unver­füg­ba­re Rah­men­be­din­gun­gen” ein Finanz­sys­tem, das abs­trak­te, ent­frem­de­te For­men Kon­trol­le nahe­legt und damit eine “Position/Rolle”, der Ver­ant­wor­tung für das gan­ze Unter­neh­men zuge­schrie­ben und die leicht aus­ge­tauscht wer­den kann (Geschäfts­füh­rung).

    Hin­zu kommt der – mit Ver­laub und aus mei­ner ganz per­sön­li­chen Sicht – “schlech­te see­li­sche Zustand” vie­ler ton­an­ge­ben­der Per­so­nen unter den Gesell­schaf­ter, der eben­falls abs­trak­te, ent­frem­de­te For­men der Kon­trol­le nahelegt.

    Ganz grund­sätz­lich hat es eher Nach­tei­le als Vor­tei­le, wenn ein Unter­neh­men “sich selbst­or­ga­ni­siert”, solan­ge Unter­neh­men für Gesell­schaf­ter vor­wie­gend Han­dels­gü­ter sind, deren vor­ran­gi­ger Zweck es ist, die Gesell­schaf­ter rei­cher an Geld zu machen (eine Alter­na­ti­ve wäre: Rei­cher an Bezie­hun­gen, rei­cher an Sinn. Aber da sind wir der­zeit nur sehr selten).

    Vie­les spricht also dafür, dass wir wei­ter­hin nur weni­ge “Inseln der Seli­gen” im Meer der ganz nor­ma­len Ent­frem­dung in unter­neh­me­ri­schen Zusam­men­hän­gen sehen wer­den. Ohne Ausbreitungspotential.

    Das Min­des­te, dass der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von Unter­neh­men zur Sei­te gestellt sein muss, ist eine Aus­brei­tung von etwas, das man “Impact Inves­ting” nen­nen könn­te. Also Gesell­schaf­tern, die sich an Unter­neh­men nicht oder nicht vor­ran­gig des­we­gen betei­li­gen, weil sie hier die größ­te, schnells­te und sichers­te Ren­di­te ver­mu­ten. Son­dern weil sie an DIESEM Unter­neh­men betei­ligt sein wol­len. Wegen dem was die­ses Unter­neh­men MACHT. (Inhalt­li­che Bin­dung, man könn­te auch sagen: Beziehung).

    Crowd­fun­ding und Crowd­in­ves­ting sind mög­li­cher­wei­se Vor­stu­fen einer sol­chen Aus­brei­tung von Impact Inves­ting, auf­grund der Umfän­ge des so zur Ver­fü­gung gestell­ten Kapi­tals bis­her aber nur von sehr limi­tier­ter unter­neh­me­ri­scher Relevanz.

    Man könn­te auch kri­tisch sagen: Unter­neh­men machen Inves­to­ren und Gesell­schaf­tern bis­her nur sehr kläg­li­che Bezie­hungs­an­ge­bo­te und sehen sie eher als “Melk­kü­he”, denn als dau­er­haf­te Part­ner. Dass Inves­to­ren und Gesell­schaf­ter dann umge­kehrt Unter­neh­men als Han­dels­gü­ter sehen, auf abs­trak­ter Kon­trol­le bestehen und top-down-Management favo­ri­sie­ren, ist aus mei­ner Sicht eine logi­sche Fol­ge des schlech­ten Bezie­hungs­ma­nage­ments, das sich Unter­neh­men der­zeit in den aller­meis­ten Fäl­len leis­ten. In den meis­ten Unter­neh­men scheint die Idee vor­zu­herr­schen, man habe ja nur finan­zi­el­le Ren­di­te­er­war­tun­gen zu bie­ten. Dass es auch ganz ande­re Ren­di­ten geben könn­te als nur die finan­zi­el­len allein, scheint so abnorm zu sein, dass das bis­her nur sehr sel­ten ver­sucht wird.

    Aus mei­ner Sicht aber den­noch eine not­wen­di­ge (nicht: hin­rei­chen­de) Bedin­gung für die Aus­brei­tung von Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on von Unternehmen.

    1. Hal­lo Ardalan,
      es kommt zu kei­ner Selbstent­mach­tung der Gesell­schaf­ter. Die Macht der Gesell­schaf­ter ist es, die Geschäfts­füh­rung zu bestim­men. Dabei bleibt es, nur das immer mehr Gesell­schaf­ter die Zukunfts­fä­hig­keit ihres Unter­neh­mens mit der ganz tra­di­tio­nel­len Form der GF nicht mehr aus­rei­chend gesi­chert sehen und des­we­gen offen für Alter­na­ti­ven sind.

      Oder wie fomu­lier­te es Uwe Lüb­ber­mann (Pre­mi­um Cola) letz­tens: “Ich habe mei­ne Macht als Inha­ber nicht auf­ge­ge­ben, aber ich tue alles dafür, sie nicht zu benutzen.”

      LG
      Bernd Oestereich

      1. Hi Bernd,

        Dan­ke Dir für Dei­ne Ant­wort! – Ich habe Selbstorganisations-Überzeugungstäter-GF aus Unter­neh­men vor Augen, die bör­sen­no­tier­te AGs sind oder Ven­ture Capi­tal an Bord haben. GF, die geschei­tert sind und GF von Unter­neh­men waren, die heu­te wie­der klas­sisch top-down geführt werden.

        Wären alle Unter­neh­men inha­ber­ge­führt und hät­ten rein finan­zi­el­le Inter­es­sen von Inves­to­ren nicht recht­lich Vor­rang, gäbe es die­ses The­ma gar nicht und Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on wür­de sich heut­zu­ta­ge m.E. nach und nach von ganz allein “ende­misch” aus­brei­ten, weil sie vie­le offen­sicht­li­che Vor­tei­le hat.

        Der Dis­con­nect zwi­schen Geldgebern/Eignern von Unter­neh­men und ihren Unter­neh­men, der an der “Schnitt­stel­le aus­tausch­ba­re GF” zum Tra­gen kommt, ist ein Pro­blem, für das wir neue Lösun­gen fin­den müssen.
        Andern­falls haben wir sehr vie­le GF, die in einem Aus­maß dem aus­schließ­lich zah­len­ori­en­tier­ten Kon­troll­be­dürf­nis von Eignern/Investoren aus­ge­setzt sind, die sich für das Unter­neh­men selbst nicht wirk­lich inter­es­sie­ren. Weder für die Produkte/Dienstleistungen, noch für die Kun­den, noch für die Mit­ar­bei­ter, noch für sonst irgend­et­was. Für die­se Eigner/Investoren ist das Unter­neh­men nur eine Wet­te oder eine Geld­druck­ma­schi­ne, die lie­fert oder nicht.

        Dass GF, die ihrer­seits von sol­chen am Unter­neh­men des­in­ter­es­sier­ten Eignern/Investoren, abhän­gig sind, sich vor die­sen recht­fer­ti­gen müs­sen und jeder­zeit durch von ihnen aus­ge­tauscht wer­den kön­nen, kaum in der Lage sind, “ihre Macht nicht zu nut­zen”, ist aus mei­ner Sicht so tri­vi­al, dass es mich manch­mal fast etwas erschreckt, in wel­chem Aus­maß die­ser Umstand in der Selbstorganisations-Szene nicht the­ma­ti­siert wird​.GF von bör­sen­no­tier­ten AGs und am Tropf von Venture-Capital-Gesellschaften sind einer per­ma­nen­ten Ver­su­chung aus­ge­setzt, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on zu zer­stö­ren. Mir ist bis­her kein Bei­spiel von einem sol­chen Unter­neh­men bekannt, wo Selbst­or­ga­ni­sa­ti­ons­ver­su­che von der jewei­li­gen GF län­ger als 7 Jah­re durch­ge­hal­ten wur­den. Ent­we­der wur­de die GF aus­ge­tauscht oder sie ist ein­ge­knickt und hat wie­der auf top-down umge­stellt. In den meis­ten Fäl­len wird es in sol­chen Unter­neh­men, die den ton­an­ge­ben­den Teil unse­res Wirt­schafts­le­bens aus­ma­chen, gar nicht erst versucht.

        Im Posi­ti­ven fin­det man den Zusam­men­hang ja recht aus­drück­lich bei eini­gen Unter­neh­men the­ma­ti­siert, die offen­siv mit Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on expe­ri­men­tie­ren. Z.B: Pre­mi­um Cola: “Wir neh­men auch bei Wachs­tums­mög­lich­keit kei­ne Kre­di­te von Ban­ken auf, um die­ses Wachs­tum zu ermög­li­chen, son­dern ver­trös­ten lie­ber unse­re neu­en Kun­den”. Oder HHP Ber­lin: “Wenn die Ban­ken nicht in der Lage sind, unse­ren Denk­mo­del­len zu fol­gen, dass Neu­ein­stel­lun­gen Inves­ti­tio­nen sind, dann arbei­ten wir eben nicht mit ihnen zusammen.”

        Oder um es mit den Wor­ten eines wei­te­ren GF zu sagen: “Wenn Du kein Ver­trau­en bekommst, kannst Du auch keins wei­ter­ge­ben.” – Ich wür­de wei­ter­ge­hen und sagen: Wo kei­ne ech­ten, belast­ba­ren Bezie­hun­gen zwi­schen Unter­neh­men und Eignern/Investoren bestehen, kön­nen auch sonst im Unter­neh­men nur Schmal­spur­be­zie­hun­gen bestehen: Zwi­schen den Mit­ar­bei­tern, zu Kun­den, zu Lie­fe­ran­ten und zu allen ande­ren Sta­ke­hol­dern. Command&control = Schmalspurbeziehungen.

        Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on braucht neue Bezie­hungs­for­men nicht nur inner­halb des Unter­neh­mens, son­dern auch zwi­schen Unter­neh­men und Eignern/Investoren. Denn sonst müs­sen nur mal kurz die Zah­len nicht ganz so rosig aus­se­hen – und schon wird alle Selbs­or­ga­ni­sa­ti­on sofort als ers­tes wie­der ein­kas­siert. Den “Diktatur-Reflex” von fremd­be­stimm­ten Unter­neh­men könn­te man das nennen.

        Die wich­tigs­te “exter­ne Refe­renz” der meis­ten heu­ti­gen Unter­neh­men ist ja gera­de nicht der Markt und die Kun­den. Son­dern die Erwar­tun­gen der­je­ni­gen, denen das Unter­neh­men gehört und für die das Unter­neh­men in den meis­ten Fäl­len ein rei­nes Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt ist. Dass die­se bei­den exter­nen Refe­ren­zen zu völ­lig ver­schie­de­nen unter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dun­gen und Orga­ni­sa­ti­ons­for­men füh­ren, (trotz der Markt-Rhetorik der klas­si­schen BWL), kann man sys­te­ma­tisch würdigen.

        Dann muss man aber in einem Atem­zug mit Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on über Unter­neh­mens­fi­nan­zie­rung spre­chen. Und die sehr unter­schied­li­chen Bezie­hungs­for­men, die durch eine Inves­ti­ti­on oder Anteils­er­werb gestif­tet wer­den kön­nen: Wech­sel­sei­ti­ge finan­zi­el­le Aus­beu­tung ODER: Ech­te Bin­dun­gen, die auch har­te Zei­ten am Markt über­ste­hen und kei­ne abs­trak­ten Wachs­tums­zie­le als Zweck-in-sich-selbst setz­ten. Die­se “ech­ten Bin­dun­gen” braucht es aus mei­ner Sicht, soll unter­neh­me­ri­sche Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on jen­seits von ein paar Nischen bestehen. 

        Die bevor­zug­te Lösung, die mir dabei der­zeit vor­schwebt, trägt die Bezeich­nung “impact inves­ting” und wür­de ein groß­flä­chi­ges Umden­ken bei der Täti­gung von Unter­neh­mens­in­ves­ti­tio­nen vor­aus­set­zen. Also einen ganz ande­ren Umgang mit Geld und den Grün­den, war­um wir unser Geld wo anle­gen und wo nicht.

        Dan­ke Euch für die­se Kom­men­tar­mög­lich­keit und herz­li­chen Gruß!
        Ardalan

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.