Historischer Wendepunkt der ökonomischen Spielregeln: Wann trifft es Ihr Unternehmen?

Die Spielregeln haben sich geändert: Der Überlebenskampf der Musikindustrie ist legendär. Die Lobbyarbeit der Verleger 2013 zum Leistungsschutzrecht zeigte vor allem deren Verzweiflung. Mit MyTaxi hatte es die Taxizentralen kalt erwischt. 

Kann nicht auch Ihr Unternehmen morgen schon betroffen sein? Einfach dadurch, dass jemand anderes eine Idee hat!

Und vor allem: was dann? Hierzu ein paar Gedanken dazu, was eigentlich der historische Kontext und der theoretische Hintergrund dieser Phänomene ist.

Historischer Kontext

Alleine schon wenn man sich die sichtbaren Merkmale der Wirtschaft vor 50 oder 100 Jahren und heute ansieht, wird deutlich, dass hier ein grundlegender Wandel stattgefunden hat.

Taylorismus vs.Netzwerk-Ökonomie: Merkmale und wirtschaftliche Spielregeln im historischen Wandel

Taylorismus vs.Netzwerk-Ökonomie: Merkmale und wirtschaftliche Spielregeln im historischen Wandel

Gerhard Wohland hatte dies schon vor einigen Jahren in seinem Buch „Denkwerkzeuge der Höchstleister“  mit der Metapher der „Taylorwanne“ beschrieben. Das greife ich hier auf, um den historischen Kontext zu erklären.

Bis vor 100 Jahren waren die Kosten für den Transport von Waren so hoch, dass die meisten Märkte eher lokal und begrenzt waren. Die Wirtschaft war geprägt durch vielerlei Manufakturen, deren Reste in Form von zu Lofts umgebauten Gebäuden noch heute in den Hinterhöfen in Großstädten wie Berlin und Hamburg zu besichtigen sind. Handwerksmeister prägten mit ihrem Können und ihrer Flexibilität die Wirtschaft.

Dann sanken die Transportkosten und es entstanden neue Massenmärkte mit hoher Kaufkraft, die Konkurrenten störten kaum noch, denn man konnte sich ausweichen. Die Kreativität der Unternehmen wendete sich nach innen auf Prozesse und Kosten. Frederick Taylor entwickelt den theoretischen Hintergrund und Henry Ford ist einer der ersten, der dies spektakulär praktisch nutzte.

Die industrielle Produktivität stieg ums Fünfzig- bis Hundertfache in kurzer Zeit. Effizienzsteigerung und Kostenreduktion war das wirtschaftliche Mantra dieser Zeit: schneller und billiger werden, um noch mehr zu verdienen. Dass der Taylorismus stabile Prozesse und Rahmenbedingungen braucht, also dynamikempfindlich ist, fiel in diesem Kontext lange Zeit nicht weiter auf. Aber jetzt.

Heute operieren quasi alle global, egal ob groß oder klein, und ein weiteres Wachstum in der Fläche ist kaum noch möglich. Die Märkte sind abrupt an Grenzen gestoßen.

Aktuelle Herausforderungen

Was ändert sich dadurch? Die Unternehmen müssen in den meisten Fällen weiterhin sehr effizient arbeiten um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber dies reicht eben nicht mehr aus. Der Wettbewerb findet immer mehr über Ideen und Kreativität statt, die nicht nur zu neuen innovativen Produkten, sondern zunehmend auch zu neuen Geschäftsmodellen führen. Siehe die eingangs genannten Beispiele zur Musikindustrie, Verlagswesen oder Taxizentralen.

Das Umfeld von Unternehmen zeigt sich immer komplexer in dem Sinne, dass die Anzahl und Heftigkeit der Überraschungen zunehmen und die eingeübten Reflexe versagen, weil Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verloren gegangen sind. Die Reaktionen wirken hilfloser und aktionistischer, der Wandel wird erst geleugnet und dann mit zunehmenden Leid allmählich realisiert.

Theoretisch gut fundiert und praktisch mittlerweile vielfach erprobt, werden – auch von oose – ganz grundlegende organisatorische Weiterentwicklungen propagiert, die vor allem auf höhere Selbstorganisation, netzwerkartigere Organisationsformen und dem Wechsel von Regeln und Methoden zu Prinzipien und kommunikativen Können basieren.  Dies möchte ich aber gerade nicht vertiefen.

Müssen sich jetzt alle Unternehmen transformieren?

Stattdessen möchte ich die Frage stellen: sind wirklich alle Unternehmen von diesem Wandel betroffen? Müssen jetzt alle Unternehmen zu Netzwerkorganisationen werden und Führung ganz neu denken?

Hierzu möchte ich gedankliche Anleihen bei Friedrich Glasl nehmen. Glasl ist vor allem durch seine Arbeiten zum Thema Konfliktmanagement bekannt. Zusammen mit  Bernard Lievegoed hat er Unternehmer wie Götz Werner inspiriert (siehe Blogbeitrag „Was haben Joseph Beuys, Rudolf Steiner und Götz Werner miteinander zu tun? Genau: alle drei sind ökonomische Innovatoren“). Bekannt ist auch sein Modell der typischen Phasen der Entwicklung von Unternehmen (Pionierphase, Differenzierungsphase, Integrationsphase, Assoziationsphase – siehe hierzu Blogbeitrag „Vom Startup zur Professionalisierung und zurück“).

Glasl erkennt in Unternehmen sieben Wesenselemente die er wiederum  zu folgenden drei Subsystemen zusammenfasst:

Das technisch-instrumentelle Subsystem

  • Physische Mittel wie Maschinen, Geräte, Materialien, Räume, Geld etc.
  • Wertschöpfungsprozesse und Arbeitsabläufe wie bspw. Entscheidungs-, Planungs-, Steuerungs-, Beschaffungs- und Produktionsprozesse

Das soziale Subsystem

  • Funktionen, Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Rollen
  • Mitarbeiterfähigkeiten, Haltungen, Einstellungen, Beziehungen, Konflikte, Betriebsklima
  • Aufbauorganisation, Organisationsstruktur, externe Kooperationen und Mitgliedschaften

Das kulturelle Subsystem

  • Leitsätze und Strategien für das Verhalten nach innen (Produkte, Finanzen, Personal etc.) und außen (Kunden, Lieferanten)
  • Identität, Grundwerte, Image, Sinn, Zweck

Mit Blick auf den historischen Kontext lassen sich im Taylorismus vor allem solche Unternehmen erkennen, bei denen das technisch-instrumentelle Subsystem dominiert. Glasl bezeichnet Unternehmen mit diesem Schwerpunkt daher auch als Produktorganisationen, denn hier geht es ja meistens um die industrielle Herstellung von (Massen-)Produkten. Unternehmen mit einem Schwerpunkt im sozialen Subsystem ordnet Glasl vor allem Dienstleistungsorganisationen zu. Und Unternehmen mit Stärken im kulturellen Subsystem bezeichnet er als professionelle Organisationen. Diese sind auch Dienstleistungsorganisationen, bei denen jedoch die Anwendung von Wissen im Vordergrund steht.

Während zur Blüte des Taylorismus die Produktionsarbeit dominierte, hat der Anteil der Wissensarbeiter in den letzten Jahren erheblich zugelegt. Parallel dazu haben sich die Schwerpunkte immer mehr Richtung kulturelle Subsysteme verschoben.

Demut vor Taylorismus schadet nicht. Ignorieren von neuen Organisationsprinzipien hilft nicht.

Diese Organisationstypologie von Glasl finde ich sehr anregend im Hinblick auf die Frage, ob jetzt angesichts der neuen ökonomischen Spielregeln alle Unternehmen selbstorganisierte Netzwerkorganisationen werden müssen.

Betroffen von den neuen Spielregeln und Überraschungen sind sicherlich mehr oder weniger alle Unternehmen. Für Produktorganisationen wird aber nichtsdestotrotz die Stärke im technisch-instrumentellen Subsystem weiterhin ein kritischer Wettbewerbsfaktor bleiben, während professionelle oder dienstleistende Organisationen an weniger ausgefeilten technischen Instrumenten wahrscheinlich nicht scheitern werden. Auch in Organisationen mit viel Wissensarbeit gibt immer noch bedeutende Aspekte aus den anderen Subsystemen.

Ich glaube sogar, dass wir im Hinblick auf agile Organisationen und Selbstorganisation nicht nur diese Organisationstypologie beachten sollten, sondern vielmehr in jedem einzelnen Unternehmen differenzieren müssen, wann in welchen Bereichen welche Subsystemen dominierend sein sollten.

Anders ausgedrückt: wir müssen genau hingucken, wo traditionelle Führung immer noch passt und wo mehr Selbstorganisation erstrebenswert ist, wo auf kausalem Denken basierende Regeln und Prozesse weiterhin erfolgreich sein können und wo ein Unternehmen durch ein Netzwerk sich selbst organisierender Könner und einer auf Werten und Prinzipien basierende Kollaboration den Überraschungen kreativ begegnen sollte.

Nur weil es gerade cool ist, müssen wir jetzt nicht gleich die ganze Welt mit Selbstorganisationsprinzipien beglücken und etwas Demut vor den Errungenschaften des Taylorismus schadet sicherlich nicht.

Andererseits sollte sich sicherlich jedes Unternehmen mit diesen Fragen beschäftigen, neue Möglichkeiten und Organisationsprinzipien kennenlernen, verstehen und eine individuelle Antwort und Haltung dazu finden. Weggucken macht es nicht besser. Und genau hierbei helfen natürlich unsere Workshop-Angebote zum Thema „Organisationen entwickeln“. Wann sehe ich Sie in einem unserer Workshops?

 

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