Bericht von der Manage Agile

Letzte Woche fand in Berlin zum zweiten Mal die Konferenz Manage Agile statt. Auf ihr wurde offenbar, dass das Thema Agilität den Kontext von Softwareprojekten verlassen hat und sich Richtung allgemeines Organisationsmanagement bewegt. (Dieser Bericht ist ganz ähnlich zuerst bei Heise-Developer erschienen.)

Der Fokus vieler Vorträge lag nicht auf agilen Verfahren wie Scrum selbst, sondern auf dem organisatorischen Kontext. Die Einführung von beispielsweise Scrum stößt in den Projekten und Unternehmen an Grenzen, sofern nicht die gesamte Organisationsstruktur oder zumindest das unmittelbare Projektumfeld hierfür offen ist und daran anschließen kann. Dabei geht es um deutlich mehr, als dass angrenzende Organisationseinheiten oder das Management agile Entwicklungsverfahren tolerieren, verstehen oder offen dafür sind. Vielmehr stellen die agilen Keimzellen die traditionellen Eckpfeiler, Gewissheiten und Gewohnheiten der Gesamtorganisation, innerhalb derer sie arbeiten, deutlich in Frage. Diese Reibungsfläche zog sich als roter Faden durch viele Konferenzbeiträge.

Wozu werden Linienmanager noch gebraucht?

Vor einigen Jahren diskutierte die Disziplin Requirements Engineering darüber, ob es sie angesichts von Rollen wie dem Product Owner und Techniken wie Backlog und User Stories überhaupt noch geben müsse. Oder man hinterfragte angesichts von Scrum Master und selbstorganisierten Entwicklungsteams die Rolle des Projektleiters kontrovers. Nun geht es – damit vergleichbar – im derzeitigen Diskurs um die Existenz des traditionellen Organisationsmanagements. Wozu werden Linienmanager noch gebraucht?

Organisationsmanagement geht auch anders

Viele Vorträge verdeutlichten, wie viele Aufgaben des traditionellen Organisationsmanagements sich auch anders organisieren und wahrnehmen lassen. Dabei geht es seltener darum, dass die eigentlichen Kerninhalte dieser Rollen obsolet sind. Das in den Rollen und Disziplinen aufgebaute Wissen sowie deren spezielle Methoden und Praktiken haben prinzipiell weiterhin ihren Wert und Nutzen. Auch in agilen Organisationen gibt es weiterhin Strukturen, Ordnung, Entscheidungen, Verantwortung, Strategie, Personalentwicklung et cetera. Die Rollen sind aber anders geschnitten, und die Aufgaben lassen sich anders organisieren. Und die Kontexte, Zeitpunkte und speziellen Zwecke, in und mit denen Organisationsmanagement-Aufgaben stattfinden, können anders implementiert werden.

Das Konferenzprogramm war gut gemischt mit Berichten eigener Erfahrungen, Erkenntnissen aus fremden oder begleiteten Kundenerfahrungen, theoretische Grundlagen, passenden Zitaten bedeutender Menschen aus der Zeitgeschichte, zugespitzten Thesen und anregenden Impulsen. Dabei wurde fast immer mit Dualitäten beziehungsweise Unterscheidungen gespielt:

  • Planwirtschaft und äußere Strukturgebung versus spontane Ordnung von Innen;
  • Sicherheit versus Wagnis;
  • Projekt- versus Unternehmenskontext;
  • Anerkennungs- versus Anreizsysteme;
  • fachliche versus disziplinarische Führung;
  • „noch eine neue Methode“ versus Paradigmenwechsel;
  • individuelle und absolute versus gemeinschaftliche relative Ziele;
  • Veränderungsgeschwindigkeit versus Planungshorizont;
  • Planungs- versus Korrekturaufwand;
  • Kosten reduzieren versus Werte steigern.

Es mangelte auch nicht an Modellen mit vier Quadranten, Eisbergen, Treppen, Pyramiden oder Kurven.

Der Geist neuer Werte und Arbeitsformen

Ich fand es angenehm, dass die Sprecher dabei nicht jedes Modell von Grund auf erklärten, sondern es meistens lediglich als Projektionsfläche für bestimmte Thesen benutzten. In wenigen Vorträgen hatte er den Eindruck, die Sprecher etikettieren ihre Aussagen eher dürftig mit der neuen Sprache und sind selbst noch den alten Denkmustern und Werten verhaftet. In der Mehrheit aber wehte der inspirierende Geist neuer Werte und neuer Arbeitsformen.

Als Hauptakteure aus der Beraterszene wurden für mich die Unternehmen Valtech, Wibas, oose, it-agile, Gloger, Kegon, Hood, agile42 und ihre als Sprecher auftretenden Mitarbeiter sichtbar. Als oose waren wir mit einem Messestand vertreten und Uwe Vigenschow hielt einen Vortrag „‚Wert’volle Entwicklung – Agile Organisationen über Werte führen und steuern“.

Die Fragen aus dem Auditorium offenbarten ein anspruchsvolles und interessiertes Publikum und auch die Tatsache, dass abends lieber Smalltalk und Fachsimpeleien dominierten als die vom Veranstalter angebotenen Roulette- und Glücksspiele, spricht für sich.

Die vielen Diskussionen zeigten, dass das Thema Agilität den Kontext von Softwareprojekten verlassen hat, sich ins allgemeine Organisationsmanagement bewegt und dort aber eher am Anfang steht. Insofern wird die „Manage Agile“ sicherlich in den nächsten Jahren weiterhin eine wichtige und spezielle Rolle in diesem Diskurs spielen, der mittlerweile auch viele andere Diskussionsplattformen erfasst.

Mehr zu diesem Thema bei oose.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Auch dieser Prozess kann nur iterativ-inkrementell ablaufen. Die Unsicherheit, ob es überhaupt dazu kommen wird ist hoch, wenn man sich die Persönlichkeitsstrukturen, Motivationen und Interessen derjenigen vergegenwärtigt, die dazu zwingend ins Boot müssen.

  2. Interessant finde ich diese Aussage:

    „Die vielen Diskussionen zeigten, dass das Thema Agilität den Kontext von Softwareprojekten verlassen hat, sich ins allgemeine Organisationsmanagement bewegt und dort aber eher am Anfang steht.“

    Das klingt für ganz danach, dass sich hier Leute ohne Vorwissen plötzlich mit OE und UE zu beschäftigen beginnen und das Rad wiederum neu erfinden.

    Da Unternehmen nebst der – allenfalls inkrementell-adaptiv gestaltbaren – Entwicklung und Realisierung von Produkten auch viele Prozesse ohne Produktcharakter wie etwa das Personalwesen umfassen kann man unter „agil“ daher nicht primär das inkrementell-adaptive Vorgehen der Produktentwicklung sondern diverse post-tayloristische, hierarchie- und autoritätsfreie und selbststeuernd-kollaborative Prinzipien und Überzeugungen zu verstehen haben. All das sind jedoch in der Organisationsentwicklung schon lange bekannte und diskutierte Ideen. Einige davon wurden – allerdings in vergleichsweise wenigen Fällen – erfolgreich umgesetzt. Vielfach zitierte Beispiele sind u. a. SEMCO und die Morning Star Company Inc. und etliche Unternehmen, die den “Beta Codex” umzusetzen versuchen.

    Dass es angesichts all dieser seit Jahrzehnten existierenden Ideen immer noch so wenige in dieser Art „tickende“ Unternehmen gibt liegt am damit verbundenen zu verändernden Denken und Handeln beginnend bei der Unternehmensspitze gekennzeichnet dadurch, dass

    o das „alles im Griff haben“ ersetzt ist durch ein „vertrauensvolles Loslassen“. Also: „Kontrolle ist gut – Vertrauen ist besser“

    o die Überzeugung vorherrscht, dass ein Unternehmen erst durch die fortlaufende Konversation aller das Unternehmen umfassenden Mitarbeitenden und Stakeholder entsteht, nicht durch von oben verkündete Visionen oder verordnete Strukturen.

    Das jedoch ist ein sehr anspruchsvoller Weg der noch dazu für etliche (die Mehrheit?) der Unternehmen nicht passend ist.

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